Radfahren in Zweibrücken

Radfahren in Zweibrücken
Miteinander geht es besser

Samstag, 16. Oktober 2021

Zweibrücken: Wann kommt man hier im 21. Jahrhundert an?


Homburg hat es. St. Ingbert hat es. Neunkirchen hat es. Selbst Pirmasens hat es.

Was also haben die, was Zweibrücken nicht hat?

Diese Städte und ihre Verwaltungen haben verstanden, dass Verkehr nicht nur Autoverkehr ist. Und sie haben verstanden, dass Gewerbeansiedlungen nur dann etwas bringen, wenn der Stadt daraus ein dauerhafter Nutzen entsteht. Genau deshalb haben diese Städte Radverkehrskonzepte entwickelt.

Irgendwie scheint mir diese Erkenntnis in Zweibrücken noch nicht angekommen. Denn im Gegensatz zu den umliegenden Städten wird in Zweibrücken scheinbar gar nichts dafür getan, dass die dringend erforderliche Verkehrswende voran kommt. 

Es werden keine Versuche gemacht, den motorisierten Individualverkehr zu Gunsten des öffentlichen Personennahverkehrs zu reduzieren, und erst recht wird die Verkehrsinfrastruktur nicht dahingehend verändert, dass Radfahrende sicher und schnell in oder durch unsere Stadt kommen.

Ja, wir haben einen (ehrenamtlichen) Fahrradbeauftragten bekommen. Der hat aber weder Befugnisse noch ein Budget und ist ausschließlich auf das Wohlwollen der Verwaltung angewiesen.  Und die hat oft genug gezeigt, dass sie immer noch so autozentriert handelt wie in den 1970er Jahren; Radverkehr wird scheinbar nur als Störfaktor wahrgenommen, der den ungehinderten Verkehrsfluss der Autofahrenden stört.

Zwar sind Teile unseres Stadtrats deutlich aufgeschlossener, doch dringen neue Ideen und Konzepte scheinbar nur selten bis in die Spitze der Stadtverwaltung vor. Stattdessen feiert sich die Stadtspitze mit einem Ansiedlungsprojekt, das sich am Ende sogar als kontraproduktiv herausstellen könnte: Die Ansiedlung von AMAZON am Steitzhof.

Wir haben in der Presse viele Argumente von Gegnern des Projekts aus Reihen der solidarischen Landwirtschaft gehört. Doch meine Befürchtung ist, dass diese Ansiedlung zu einem finanziellen Desaster führt und daher notwendige Investitionen in die Infrastruktur sogar unmöglich machen kann.

Die Rede ist derzeit von bis zu 1.000 LKW-Fahrten zwischen den beiden Autobahnausfahrten und dem Steitzhof. Doch was macht das mit der Kreisstraße 84, die für ein solches Verkehrsaufkommen auch nicht annähernd ausgelegt ist? Denn es sind nicht nur 1.000 LKW-Fahrten am Tag zu erwarten, sondern zusätzlich weitere 600 bis 800 PKW-Fahrten am Tag (bei 300 bis 400 Beschäftigten). 

Einen öffentlichen Personennahverkehr zum Steitzhof gibt es jedenfalls nicht, und mit dem Rad zur Arbeit  zu fahren würde ich niemandem empfehlen, wenn er sich das schmale Sträßchen mit 1.000 LKWs am Tag teilen muss.

Die Einnahmen aus Steuern jedenfalls werden in diesem Billiglohnbereich (ein Großteil der Einkünfte der künftigen Beschäftigten werden im steuerfreien Bereich liegen) und auch von AMAZON selbst (zahlt ja bekanntlich durch trickreiche Vermeidungstaktiken kaum Steuern) nicht einmal dafür ausreichen, die erforderlichen Investitionen in die Kreisstraße 84 zu refinanzieren.

Aber immerhin kann sich die Stadtspitze damit rühmen, 300 bis 400 Arbeitsplätze im Billiglohnsektor geschaffen zu haben. Tolle Leistung! Vor allem wenn man bedenkt wie genau sich AMAZON an das deutsche Arbeitsrecht hält - nämlich am liebsten gar nicht.

Und da schließt sich der Kreis wieder: Eine fehlgeleitete Ansiedlungspolitik verschwendet die Ressourcen und schafft auch keine Kaufkraft, die unserer Stadt zugute kommen könnte. Stattdessen hält sie Stadt und Region in einem Teufelskreis der Armut. Denn Billiglöhner brauchen das wenige Geld zum Wohnen (und für's Auto), denn die Billigarbeitsplätze sind ja nur mit dem Auto zu erreichen.

Unsere Innenstadt hingegen blutet aus. Der Einzelhandel schrumpft (auch wegen und durch AMAZON), das macht die Stadt weniger attraktiv, ausbleibende Investitionen in zukunftsorientierte Infrastruktur werden mit den noch stärker zurückgehenden Gewerbesteuereinnahmen begründet.

Was hat das ganze jetzt mit einem Fahrradblog zu tun?

Nun, wer in der Lage ist zu sehen und zu lesen, der kann und wird erkennen, dass ein Großteil unserer lokalen wirtschaftlichen Probleme daher rührt, dass immer mehr der Finanzkraft ländlicher Regionen von großen Unternehmen "abgeschöpft" wird. Das begann mit dem Sterben der "Tante Emma"-Läden, weil viele Menschen glaubten, mit dem Auto in den Supermarkt zu fahren spare Geld und Zeit. Dabei war das ganze nur eine Umverteilung: Die kleinen Läden mit ihren Angestellten mussten schließen, große Unternehmen mit viel weniger MitarbeiterInnen profitierten, und die Menschen, die ihre Arbeit verloren hatten, musste sich nun weiter entfernte Arbeitsplätze suchen, für die sie wiederum das Auto brauchten.

Heute ist nicht mehr das Kaufhaus in der Großstadt der Profiteur, heute heißt der Profiteur AMAZON, und der nimmt uns in weiten Bereichen auch noch den Rest der Läden weg. Tariflich bezahlte Arbeitsplätze verschwinden und werden durch weniger, schlechter bezahlte Arbeitsplätze in riesigen Distributionszentren (wie am Steitzhof geplant) ersetzt. 

So erzeugen wir uns unsere eigenen wirtschaftlichen Probleme! 

Dabei zeigen viele Untersuchungen weltweit: Eine attraktive Innenstadt bringt Kundenfrequenz. Und die Umsätze der KundInnen mit dem Auto sind geringer als die der KundInnen, die mit dem Rad kommen. Die aber wollen sicher und komfortabel einkaufen. Es braucht also sichere Wege, gute Abstellplätze und auch passende Ergänzungen - so wie die Ladestation für eBikes oder eine Reparaturstation für kleine Arbeiten unterwegs.

An dieser Stelle mein Fazit: Unsere Stadtspitze siedelt Billigheimer an, bringt es aber nicht einmal fertig, ein Radverkehrskonzept erstellen zu lassen. Stattdessen wird ein ominöses "Mobilitätskonzept" angekündigt ohne dass wir überhaupt wissen, bis wann und durch wen es erstellt werden soll.

Und in der Zwischenzeit werden weiterhin die Anforderungen an einen modernen, zukunftsorientierten innerstädtischen Verkehr ignoriert. Alles wird auch weiterhin dem längst überholten Primat des Autoverkehrs untergeordnet. Armes Zweibrücken, so bleiben wir immer weiter hintendran.

Bernd Lohrum


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