Radfahren in Zweibrücken

Radfahren in Zweibrücken
Miteinander geht es besser

Montag, 21. September 2020

Erfahrungen von Berufspendlern - Rheinpfalz-Redakteure berichten

Heute möchte ich euch ein paar Erfahrungen von langjährigen Fahrradpendlern weitergeben. Der Beitrag erschien in der Tageszeitung "Die Rheinpfalz" vom 20. September 2020.

Ich danke der Rheinpfalz und den Redakteuren herzlich für die Genehmigung, den Beitrag auch hier zu veröffentlichen!

Gründe, auf den Drahtesel zu steigen, gibt’s viele: nicht im Stau oder im vollen Zug stehen zum Beispiel. Weniger Abgase in die

Wer zur Arbeit strampelt, tut sich und der Umwelt was Gutes. Und kann was erleben, nicht nur bei Wind und Wetter. Sechs Erfahrungsberichte.

Lost in Ludwigshafen

Viele Jahre ist es her, da beschloss dieser Autor: Das Rennrad, das im Keller Staub ansetzte, würde wieder geölt werden. Warum denn nicht vom Wohnort die 35 Kilometer nach Ludwigshafen zur Redaktion fahren? Hatte man denn nicht einst mit dem Rad die Alpen nach Italien überquert?
Die Idee sollte sogleich am nächsten Sonntag, beim Spätdienst, in die Tat umgesetzt werden. Die Hauptfrage lautete: Welche Route? Einfach auf der Straße fahren? Mit all den Autos? Nein! Als Neuzugezogener hatte man, auch als Vater, die gut beschilderten und gut ausgebauten Radwege rund um Neustadt zu schätzen gelernt.
Noch ein rascher Blick auf die Karte (von Google Maps war damals nicht einmal zu träumen) – und los ging’s. Ziemlich schnell allerdings wurden die Radschilder weniger; eines schienen Witzbolde gar in die falsche Richtung gedreht zu haben. Asphaltierte Weg endeten plötzlich im Nichts – und je näher man Ludwigshafen kam, desto öfter verfing sich der ortsunkundige Radler im Gewirr von Autobahnen und Bundesstraßen. Kurzum, die Tour begann zur Tortur zu werden. Und der abzulösende Kollege zeigte wenig Verständnis, als der Spätdienst endlich eintraf: völlig verspätet, verschwitzt, traumatisiert und hungrig.
Inzwischen steht die Route. Die Fahrtzeit hat sich halbiert. Und immer wenn Kollegen neu mit dem Radeln anfangen wollen, bekommen sie Streckentipps. Manchmal wählen sie eine andere Route. Mit schöner Regelmäßigkeit verfahren sie sich dann – auf Wegen, die im Nichts enden. Fast drei Jahrzehnte sind seit der ersten „Dienstfahrt“ vergangen, doch erschreckend wenig hat sich seither verändert.

Durchs Mirabellen-Mus

Ein E-Bike ist für diese Pendler-Strecke nicht zwingend erforderlich – wohl aber Verständnis für die Pfälzer Lebensart, ein tiefes Reifenprofil und auch mal luftig-leichte lange Hosen. Dann sind die 8,75 Kilometer vom Ebertsheimer Ortsteil Rodenbach nach Grünstadt auch für einen Mittfünfziger kein Problem. Der parallel zur viel befahrenen Landstraße, durchs Eistal verlaufende Radweg ist da für den ganzjährigen Pedalritter-Pendler Gold wert. Auch wenn ein paar kleinere Gefahren drohen, gegen die man sich wappnen sollte. Etwa mit einem ordentlichen Reifenprofil. Das ist nicht nur an Schnee-und-Eistagen unabdingbar, sondern auch im Sommer. Dann, wenn sich Hunderte Mirabellen – ausgerechnet in den beiden 90-Grad-Kurven – auf dem Asphalt zu einem rutschigen Mus vermischen. Tiefe Profilrillen schaden im Übrigen auch nach Sommerschauern nicht: Dann übernehmen – gefühlt Millionen – Nacktschnecken den Mirabellenpart.
Ebenfalls wichtig: lange Hosen. Wir reden hier aber nicht nur von Thermo-Jeans und „langärmelische Unnerhosse“ aus dem gut sortierten Kleiderschrank des Freiluft-Pfälzers. Sondern von der luftig-leichten Sommerversion. Die braucht man, will man nicht im permanenten Stop-and-go viel Zeit verlieren: Die Kombination aus entgegenkommenden Radfahrern und in den Radweg ragenden Brennnesseln bringt dem Kurzhosenträger schnell juckende, brennende Pusteln ein. Zu guter Letzt ist Verständnis für die Pfälzer Lebensart gefragt. Denn in der Weinfest- und Kerwesaison wird die Pendlerstrecke zum beliebten Promilleweg, auf dem noch ein letzter „Trollschoppe“ genommen wird. In aller Regel in der zerbrechlichen Dubbeglas-Version. Dass Streckenabschnitte oft wochenlang von Scherben übersät sind, ist so klar wie Riesling-Schorle. Nach dem fünften Platten investiert man da gerne in mit Metallfäden durchzogene Hartgummireifen.

Wachgeküsst

Motivation pur. Und oft auch echte Hochgefühle: Das ist, was Pendelfahrten zur Arbeit in mir auslösen. Es ist die bestmögliche Kombination aus Pflicht und Vergnügen. Die Verbindung von Bürojob und körperlicher Anstrengung. Morgens geht es – wenn das Wetter mitspielt – mit dem Gefühl los, etwas Gutes zu tun. Weil das Auto in der Garage bleibt, was gut für Umwelt und Geldbeutel ist. Dazu mache ich was für die eigene Fitness und das ambitioniert gesteckte Jahreskilometer-Ziel. Die morgendliche Sonne küsst mich wach. Blöd ist nur, dass es in den Büros, in denen ich arbeite, keine Duschen gibt. Deshalb habe ich viel zu lange ausschließlich aufs Auto gesetzt. Heute komme ich eben mit einer Katzenwäsche aus. Denn: Wenn ich mit der Arbeit starte, fühle ich mich besser, weil ich schon etwas geleistet habe, bevor der eigentliche Arbeitstag beginnt.

Den Heimweg erlebe ich meist wie im Rausch. Angezogen vom Zuhause rollt das Rennrad meist viel besser und schneller als auf dem Hinweg – selbst bei Gegenwind. Und weil zweimal 50 Kilometer viel leichter „von den Beinen“ gehen als einmal 100, ist oft die Motivation so groß, dass noch kleine Umwege drin sind. Und wenn ich daheim angekommen bin, kann ich den Abend nach einem guten Essen mit Blick auf das Geleistete zufrieden auf der Couch genießen. Gibt es was Schöneres?

Keine Zeit zu vergeuden

Ich weiß nicht mehr, wo ich es gelesen habe. Aber der Mensch soll im Laufe seines Lebens gut zwei Wochen wartend vor roten Ampeln verbringen. Wer das ausgerechnet haben könnte, weiß ich auch nicht. Winzige Ampelforscher vielleicht, die hinter den roten Ampelgläsern wohnen und mit Mini-Stoppuhren exakt die Wartezeit messen? Was ich aber genau weiß: Man soll nicht aus Gründen „gefühlt vergeudeter Lebenszeit“ dieses Rotlicht einfach ignorieren, die Fahrbahn überqueren und somit gegen Paragraf 37 der Straßenverkehrsordnung verstoßen. Aber, ich muss es zugeben, bis zum 13. Juni 2017 habe ich mich an einer ganz bestimmten Fußgängerampel nicht immer an das Verbot gehalten. Denn erstens liegt die in einem Mannheimer Stadtteil, in dem es die Menschen mit den Verkehrsregeln nicht so genau nehmen – Fußgänger gehen über die Straße, wenn kein Auto kommt, Autos parken, wo eben gerade Platz ist. Und zweitens reagiert die Ampelschaltung dort stets so spät auf das Drücken der Fußgänger, dass diese meist schon bei Rot die Straße überqueren.
Ja, das sind Ausreden, ich weiß. Aber für mich war die rote Ampel an dieser Stelle eben lediglich eine nett gemeinte Empfehlung. Nicht so jedoch für die Polizeistreife, die aber an diesem 13. Juni drei Autos hinter mir ordentlich vor der Ampel wartete. Keine zehn Sekunden später wurde ich über Lautsprecher zum Anhalten aufgefordert. Noch frohen Mutes plauderte ich mit dem freundlicheren der beiden Beamten, erzählte von meinem täglich bei Wind und Wetter absolvierten Zwölf-Kilometer-Anfahrtsweg zur Arbeit, von noch schnell über Rot huschenden und abbiegenden Autofahrern, die ihrer Rückschaupflicht nicht nachkommen – in der Hoffnung, mit einer Mahnung davonzukommen.
Daraus wurde nichts. 60 Euro Strafe, 25 Euro Verwaltungsgebühr und ein Punkt in Flensburg sprechen mir bis heute an jeder roten Ampel ins Gewissen. Nur selten, wirklich ganz selten, wenn ich es richtig eilig habe, fahre ich weiter, nicht ohne über meine Schulter zu schauen – ob nicht doch ein Einsatzwagen zu sehen ist. Und bis heute bin ich überzeugt, dass ich der einzige Radler bin, der jemals einen Punkt fürs Fahren über Rotlicht bekommen hat … 

Natur er-fahren

Seit ich denken kann, fahre ich gerne Rad. Die zwölf, 13 Kilometer zu meinem Arbeitsplatz in Speyer lege ich deshalb seit Jahren schon nicht selten mit dem Zweirad zurück. Seit einiger Zeit trete ich aus gutem Grund aber noch lieber und öfter in die Pedale, statt das Auto zu nehmen: Seit Monaten ist die Salierbrücke über den Rhein gesperrt. Über die Brücke kommt man mit dem Auto nicht mehr, was die Strecke für Badener aus dem Raum Hockenheim in die Speyerer Innenstadt von knapp 15 auf rund 30 Kilometer verdoppelt. Radler und Fußgänger aber können die Brücke weiterhin nutzen. Dadurch bin ich mit dem Rad kaum noch länger unterwegs als mit dem Auto.
Aber vor allem: Mit dem Rad er-fährt man Natur und Umwelt intensiv. Wenn das Hochwasser am Rhein, wie vor zwei, drei Jahren, den Radweg bei Altlußheim überflutet, dann bedeutet das, ganz schnell eine alternative Route über Feldwege zu finden. Das glückte zwar, aber das Rad war danach ganz schön verschlammt. Oder: Am Rhein dem abendlichen Vogelgezwitscher lauschen, Störche, Reiher und Gänse im Flug oder bei der Nahrungssuche auf Wiesen und Äckern beobachten, auf der Salierbrücke einfach stehenbleiben und den Schiffen hinterherschauen. All das tut der Seele gut. Man weiß vorher nie, was man auf dem Weg sehen wird, auch das ist schön. Ganz nebenbei bekomme ich den Fortschritt der Brückensanierung mit. Der Kondition und dem Immunsystem nutzt das Radeln bekanntlich ebenfalls. Ich war schon lange nicht mehr krank. 

Die Gedanken sind frei

Den Weg findet das Rad inzwischen fast von selbst. Schließlich fährt es seit zwei Jahrzehnten mehrmals die Woche die Strecke. Am Bahndamm entlang, auf der einen Seite Schienen, auf der anderen Felder oder Schrebergärten. Autos – Fehlanzeige. Zum Bremsen und Ausweichen zwingen höchstens mal ein nicht angeleinter Hund oder ein aufgeschrecktes Karnickel. Da bleiben häufig ein paar Minuten, um die Gedanken schweifen zu lassen, den Kopf freizubekommen. Sekundenlanges Eintauchen ins Nichts sozusagen. Platz schaffen, um vielleicht anschließend auf dem Sattel Brainstorming mit mir selbst zu betreiben. Unten wird getreten, oben kreisen die Gedanken. Um anstehende Geburtstagsfeiern und Urlaube, um den richtigen Zeitpunkt fürs Rasenmähen, um die Frage, was Frau und Kinder wohl gerade so machen, um Gott und die Welt.
Auch so mancher Kommentar oder Leitartikel wurde bei solchen Fahrten im Kopf angelegt, um ihn dann später, im Büro, fertigzustellen. Denk-Sport ganz ohne Stress und Druck sozusagen. Denn wenn die Idee nichts taugt, wird sie, wie eine leere Trinkflasche bei der Tour de France, einfach ins Gebüsch geworfen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen